Ansprache des Bundesministers des Auswärtigen, Dr. Frank-Walter Steinmeier, MdB
Rede 11.02.2015 12:30 Uhr
Rede beim Staatsakt für Dr. Richard von Weizsäcker Bundespräsident a. D. am 11. Februar 2015 um 12:15 Uhr
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Rednerin oder Redner
Dr. Frank-Walther Steinmeier
Es gilt das gesprochene Wort
Liebe Frau von Weizsäcker,
liebe Familie von Weizsäcker!
Sehr geehrter Herr Bundespräsident,
Exzellenzen, liebe Trauergäste!
Manchmal, in lichten Momenten der Geschichte, da sind es nicht Armeen, nicht Krieg, nicht Zwang, die den Lauf der Dinge prägen – sondern das Wort.
Das wusste Richard von Weizsäcker; begleitet von seinem Gespür für den richtigen Zeitpunkt. Deshalb vermutlich war der 8. Mai 1985 ein solch ‚lichter Moment‘ der Geschichte. Weizsäckers Rede zur deutschen Geschichte hat selbst deutsche Geschichte geschrieben. Sein Wort vom "Tag der Befreiung"
hat selbst befreiend gewirkt für unser Land – vielleicht uns zu uns selbst befreit!
"In gnadenvollen Augenblicken"
, so hat Elie Wiesel geschrieben, "können Worte Taten werden"
. Und ich finde, gleich auf dreifache Weise sind Richard von Weizsäckers Worte zur Tat geworden:
Richard von Weizsäcker hat der Welt neues Vertrauen in unser Land gegeben; und nicht nur bei unseren östlichen Nachbarn! Wiedergewonnenes Vertrauen war unverzichtbar auf dem Weg zur Wiedervereinigung. Und von diesem Vertrauen zehrt unser Land bis heute.
Ja, Richard von Weizsäcker hat Deutschland Wahrhaftigkeit zugemutet: Befreiung, nicht Niederlage! 1945 nicht ohne 1933! Und diese Worte vollendeten in Sprache, was mit einer Geste des Kniefalls im Warschauer Ghetto begonnen hatte.
Und damit, drittens, schlug Richard von Weizsäcker Brücken zwischen Generationen. Ich sehe das Bonner Rednerpult noch vor mir: Seine Figur – Bundespräsident, liberaler Aristokrat aus generationenalter Elite. Und wie nachdrücklich klangen dessen Worte in den Ohren meiner Generation, in meinen eigenen Ohren; denen eines linken Studenten, Tischlersohn aus einfachen Verhältnissen. Wir haben diese Rede gehört und wir haben uns angenommen und vor allen Dingen ernst genommen gefühlt darin.
Nur aus Richard von Weizsäckers Mund konnten diese Worte wirken, wie sie wirkten. Seine Worte waren wahrhaftig vor Jung, vor Alt, vor Deutschland und vor der Welt, weil sie eben wahrhaftig vor ihm selbst waren!
Nicht Armeen, nicht Krieg, nicht Zwang – sondern das Wort kann den Lauf der Dinge prägen. Und wie lebenswichtig, meine Damen und Herren, ist diese Hoffnung gerade in der heutigen, stürmisch-bedrohlichen Zeit! Und vor allem: Was wäre Außenpolitik ohne diese Hoffnung?
Für Richard von Weizsäcker lag im Wort die Hoffnung auf Frieden. Denn das Wort ist beides: Einladung zum Dialog mit den Mitteln der Vernunft und Ausdruck der eigenen – vielleicht mit einem etwas altmodischen Wort – moralischen Verwurzelung.
Der Staatsmann Richard von Weizsäcker hat diese Hoffnung vorgelebt. Er hat es nie beim reinen Wort belassen, sondern zu ergründen versucht, wie das Wort zur Wirklichkeit wird.
Er hat von Versöhnung eben nicht nur gesprochen. Er hat aktiv Vertrauen errichtet unter unseren Nachbarn – in Polen und in Frankreich; stetig und über Jahrzehnte und bereits vor seiner Präsidentschaft, als er den Ostverträgen im Bonner Bundestag auch durch seinen Beitrag auf den Weg half.
Er hat von Konflikten und menschlichem Leid nicht nur gesprochen. Sondern er hat nach Ursachen und Auswegen gesucht, und er hat dafür – auch weit nach seiner Präsidentschaft – die schwierigen und oft unbequemen Gesprächskanäle nicht gescheut. Viele Male sind wir uns dabei begegnet. In seiner Mittwochsgesellschaft oder bei den Bergedorfer Gesprächen, wo er immer wieder, scheinbar unversöhnliche Akteure aus nahezu allen Weltregionen zusammengebracht hat. "Der Freund des Gespräches"
, hat er einmal gesagt, "ist der Freund des Friedens"
.
Aber nicht nur der Staatsmann, vor allem hat der Mensch Richard von Weizsäcker diese Hoffnung verkörpert. Er, der Christ, der um die Macht des Wortes wusste, hat nach dem Satz des Paulus gelebt: "Redet so, dass eure Worte euch nicht gegeneinander aufbringen!"
Darin bleibt uns die Erinnerung an Richard von Weizsäcker auch nach diesem Tag des Abschieds Auftrag und Richtschnur – ganz so, wie er es am Ende der Rede zum 8. Mai den jungen Leuten damals zugerufen hat: "Lernen Sie, miteinander zu leben, nicht gegeneinander."
Vor knapp zwölf Wochen bin ich Richard von Weizsäcker zum letzten Mal begegnet.
Es war eine innige Begegnung – schon weniger mit Worten, sondern eher begleitet durch Musik.
Jenseits des Wortes gab es für Richard von Weizsäcker ein sinnliches Reich von tiefer Wirkmacht: die Kunst; ganz besonders die Musik, die ihn seit frühesten Kindestagen begleitet hat. "Die Musik"
, hat er einmal gesagt "ist wie ein Pfingstwunder: Bei der Musik hören die Ohren in allen Sprachen."
Ein solches Pfingstwunder durfte ich bei dieser, unserer letzten Begegnung in Hamburg miterleben, wo ich sein außenpolitisches Lebenswerk würdigen durfte. Dort spielte eine Gruppe junger Musiker zu Ehren Richard von Weizsäckers das Streichoktett von Felix Mendelssohn und wir durfte erleben, wie in seine Züge, die bereits blass und müde geworden waren, gleich mit dem ersten Ton ein inniges, beglücktes Strahlen einkehrte und es blieb bis zum letzten Akkord. Ich werde dieses Bild lange in mir tragen.
Und wenn jetzt gleich die Klarinette jene wunderbare Melodie aus Mozarts Stadler-Quintett anstimmt, dann denke ich an Richard von Weizsäckers Wort "Der Mensch findet zu sich selbst in seiner Kultur"
. Und dann, so hoffe ich, finden wir alle noch ein letztes Mal zu ihm.
Wir nehmen Abschied von Richard von Weizsäcker, den wir – die Familie, Freunde, Deutsche und Europäer – vermissen werden; dessen Wirken mit seinem Tod nicht endet, und der auf ewig einen Platz in unserem ehrenden Angedenken findet.