Ansprache des Bundesministers der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble, MdB

Typ: Rede , Datum: 11.02.2015 12:43 Uhr

Rede beim Staatsakt für Dr. Richard von Weizsäcker Bundespräsident a. D. am 11. Februar 2015 um 12:43 Uhr

  • Rednerin oder Redner

    Dr. Wolfgang Schäuble

Es gilt das gesprochene Wort

Herr Bundespräsident,
liebe Familie von Weizsäcker,
verehrte Trauergäste!

Was war das für ein Leben. Ein Leben, das die deutsche Geschichte in sich und mit sich trug. In diesem letzten Jahrhundert, mit dem wir noch lange nicht fertig sind.

Stefan George legte dem jungen Richard von Weizsäcker die Hand auf die Schulter, mit Stauffenberg besprach der Oberleutnant von Weizsäcker 1942 die Kriegsaussichten.

Er hat den Niedergang der Weimarer Republik erlebt, nach der Barbarei des Nationalsozialismus die Wiederaufrichtung West-Deutschlands.

Dann Kalter Krieg und sein Ende, deutsche und europäische Einheit, und noch einmal zweieinhalb Jahrzehnte des wiedervereinten Deutschlands – mit neuer Rolle und neuen Aufgaben.

Und all das alles nicht als Beobachter, sondern als Teilnehmender, als Gestaltender und als Heilender. Er wollte die schweren Verletzungen unseres Landes heilen, die – wie er durch sein eigenes Leben wusste – wir uns selbst zugefügt hatten.

Und so durfte Richard von Weizsäcker dankbar sein für ein Leben, das so reich war, wie es für einen Menschen nur sein kann.

Und was für ein Mensch er war! Einer, der mit seiner ganzen Persönlichkeit die höchste Achtung fand. Immer von einer faszinierenden Ausstrahlung.

Und das bemerkenswerte ist auch, dass er diese Wirkung in einer Gesellschaft hatte, die von ihren alten Eliten der Vorkriegszeit in mehrfacher Hinsicht abgeschnitten war, von diesen alten Eliten eigentlich gar nichts mehr wissen wollte.

Und doch verdankte sich vieles in seinem Auftreten, in seinem Charakter, in seiner Persönlichkeit gerade seiner Herkunft aus eben diesen Eliten.

Es hatte so in ihm auch etwas von dem alten Deutschland in ihm überlebt und republikanische Form angenommen. Ich bin mir gar nicht sicher, ob allen so klar war, dass sie in ihm etwas liebten, was sie theoretisch vielleicht gar nicht mehr alles so wollten.

Richard von Weizsäckers Persönlichkeit hatte viele Dimensionen: in Musik, Literatur, in bildender Kunst gleichermaßen zu Hause, religiös ohne je frömmlerisch zu sein, wirtschaftliche Erfahrungen, Freude am Sport und eben die Politik.

Und über all dem war er ein liebenswürdiger, ein verbindender, ein verbindlicher Mensch. Er hat anderen, Großen und Kleinen, das Gefühl geben, wenn er mit ihnen sich unterhalten hat, dass es wenn er mit jemandem sich unterhalten hat, in diesem Moment nur diesen anderen Menschen gegeben hat.

Und er war stets für alle verständlich, obwohl er sich doch immer sehr differenziert und nachdrücklich ausgedrückt hat – ich glaube er ist auch darin ein Vorbild in unserer heutigen Zeit, die ja zunehmend von unangemessener Aufgeregtheit und dadurch oft auch von einer Aggressivität geprägt ist, die das gesellschaftliche und politische Klima manchmal vergiftet. 

Aber natürlich verband sich mit Richard von Weizsäckers außergewöhnlicher Wirkung und Ausstrahlung auch eine Gefahr, die ich hier auch erwähnen möchte. Und ich glaube, es wäre in seinem Sinne.

Es verband sich damit die Gefahr, dass in seinem Glanze die alltägliche Politik mehr verblasste, als sie es verdiente und verdient.

Es wäre falsch – und ich glaube auch, dass er das zutiefst nicht gewollt hat –, in Richard von Weizsäcker etwa das Gegenbild von Politik zu sehen.

Nein, wir sahen in ihm eine besonders beeindruckende Form von Politik selbst, so wie Politik sein kann, ja, wie sie sein sollte, und wie sie auch in vielfältigen Abstufungen doch auch ist.

Richard von Weizsäcker, der so sehr über den Parteien und über der Parteipolitik zu stehen schien, war auch Parteipolitiker.

Er war Christdemokrat, Bundestagsabgeordneter.

Als nach dem Rücktritt von Rainer Barzel 1973 ein neuer Fraktionsvorsitzender in der CDU/CSU zu wählen war, war er der Hoffnungsträger von vielen von uns damals Jüngeren, so wie Helmut Kohl, der dann Parteivorsitzender wurde.

Und es war die Zeit nicht nur der großen Debatten um die Ost- und Deutschland-Politik, sondern es war auch die Zeit der Neubesinnung dieser Union nach ihrem Abschied aus der Regierungsverantwortung 1969, der der Union schwergefallen war und angesichts der enormen Veränderungen in der Welt wie in der Gesellschaft, von der Entspannungspolitik über den in den ersten beiden Jahrzehnten der Nachkriegszeit aufgestauten Reformbedarf, der in die 68er-Turbulenzen mündete, bis zur Perversion des RAF-Terrorismus in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre.

Richard von Weizsäcker leitete die Grundsatzkommission der CDU, die für die weitere Entwicklung dieser großen Volkspartei in den 70er Jahren bestimmend wurde. Und seine Gabe, ein freiheitlich verfasstes Gebilde, bei allen auseinander strebenden Interessen und Verschiedenheiten, zusammen zu halten und ihm Richtung zu geben, hat sich auch damals bewährt.

Diese Gabe bewährte sich dann in seiner Zeit als Regierender Bürgermeister in Berlin so sehr, dass sich viele in Berlin gar nicht mehr ohne ihn vorstellen mochten, als er Bundespräsident wurde. Aber er hat diese Enttäuschung mancher Berliner vielfältig wettgemacht.

Und so konnte er ein von allen geachtetes Staatsoberhaupt sein: unabhängig, unparteiisch, oftmals unbequem, aber eben immer respektiert.

Und deswegen ist es eben auch kein Gegensatz: das Engagement für unsere Demokratie in und durch eine politische Partei und zugleich Unparteilichkeit, Unabhängigkeit.

Und das alles ist Richard von Weizsäckers großartiger Persönlichkeit geschuldet. Im eigenen Standpunkt festgegründet, waren ihm andere Meinungen, Anderssein, nie Bedrohung, sondern immer Bereicherung.

Und so hat er gewirkt, als Bundespräsident und danach.

Wir haben ja in Deutschland auch in den letzten Jahren nicht immer die richtigen Worte gefunden, wenn wir unsere Geschichte und unseren Weg in die Zukunft zu klären versuchten. "Normalisierung" war so ein unglückliches Wort. Was ist "normal"?  Aber umso dankbarer können wir Richard von Weizsäcker sein, dass er unserem Land geholfen hat, seinen Weg zu finden, ohne dabei missverstanden zu werden.

Man muss ja manchmal schon nachdenken, wann Richard von Weizsäcker eigentlich aus dem Amt geschieden ist. Eigentlich ist er immer unser Präsident geblieben, und er hat dabei bestimmt keinem seiner Amtsnachfolger irgendetwas weggenommen. Im Gegenteil.

Autorität und Zuwendung – Richard von Weizsäcker konnte nicht nur unserem Land, er konnte auch Einzelnen viel vermitteln. Seine Bildung war eben auch Herzensbildung. Ich habe es selbst erlebt, wie er sich einem zugewandt hat, wenn es einem mal nicht so gut ging.

Diese große Persönlichkeit – weit über alle gut formulierten Gedanken in seinen Reden hinaus –, ist am Ende vielleicht der wahre Grund, warum Richard von Weizsäcker so sehr helfen konnte, uns Deutsche mit uns und die Welt mit Deutschland zu versöhnen. Das wird bleiben. Und das werden wir ihm nie vergessen!

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