Begrüßung durch Prof. Monika Grütters, MdB, Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin und Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien

Typ: Rede , Datum: 20.07.2015

Feierstunde der Bundesregierung am 20. Juli 2015 in der Gedenkstätte Plötzensee, Berlin

  • Ort

    Berlin, Gedenkstätte Plötzensee (Hüttigpfad)

  • Rednerin oder Redner

    sonstige

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Bundesratspräsident,
Exzellenzen,
verehrte Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag und
aus dem Berliner Abgeordnetenhaus,
sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister,
sehr geehrter Herr Dr. Smend,
sehr geehrter Herr Prof. von Steinau-Steinrück,
verehrte Zeitzeuginnen und Zeitzeugen,
liebe Angehörige von Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfern,
meine sehr geehrten Damen und Herren!

Hier im ehemaligen Strafgefängnis Plötzensee, in dem zwischen 1933 und 1945 fast 3.000 Menschen ihr Leben lassen mussten, hier innerhalb der Mauern, die zwölf Jahre lang stumme Zeugen des Leidens und des Mordens waren, hier ergreift, ja überwältigt uns förmlich der tiefe Respekt für den un-beugsamen Willen zum Widerstand, der vielfach unter dem Galgen oder unter dem Fallbeil endete. Wir wollen ihnen ein Andenken bewahren, den Menschen, die sich auch von einer unmenschlichen Diktatur ihre Menschlichkeit nicht haben nehmen lassen. In diesem Sinne begrüße ich Sie im Namen der Bundesregierung zur Feierstunde der Bundesregierung und der Stiftung 20. Juli 1944.

Die Frauen und Männer um Claus Schenk Graf von Stauffenberg, die mit dem Attentat auf Hitler heute vor 71 Jahren dem Terror und der Gewalt der Nationalsozialisten ein Ende setzen wollten, folgten ihren Überzeugungen ohne Rücksicht auf ihr eigenes Leben. Sie wählten die Freiheit in einer von Zwang und Unterdrückung geprägten Zeit. Sie stellten sich ihrer moralischen Verantwortung, wo die schweigende Mehrheit die Augen verschloss.
Woher nahmen sie ihren Mut und ihre Kraft?

Angesichts der Verbrechen der Nationalsozialisten schrieb Helmuth James Graf von Moltke in einem Brief an seine Frau Freya: "Darf ich das erfahren und trotzdem in meiner geheizten Wohnung am Tisch sitzen und Tee trinken? Mach ich mich dadurch nicht mitschuldig? Was sage ich, wenn man mich fragt: und was hast Du während dieser Zeit getan?" Moltke entschloss sich zum Handeln. Dafür wurde er am 23. Januar 1945 in Plötzensee ermordet.

Der deutsche Widerstand gegen den Nationalsozialismus - das ist eine kleine Minderheit von Frauen und Männern, die die Bequemlichkeit ihrer geheizten Wohnung hinter sich ließ, um ihrem Gewissen zu folgen. Ihre Lebenswege, ihre Beweggründe und ihre Vorgehensweisen könnten unterschiedlicher kaum sein. Gemeinsam ist ihnen, dass sie Wahlmöglichkeiten sahen und Handlungsspielräume nutzten, wo andere behaupteten, keine Wahl und keine Alternativen gehabt zu haben.

Es gab den "Kreisauer Kreis", dessen Mitglieder Vorbereitungen für ein neues, ein freies und demo-kratisches Deutschland trafen. Es gab die studentische Widerstandsgruppe "Weiße Rose", die in Flugblättern zum Widerstand aufrief. Es gab Einzelkämpfer wie 1939 den Hitler-Attentäter Georg El-ser, dem in diesem Jahr dank des Kinofilms "Elser" von Oliver Hirschbiegel viel Aufmerksamkeit zuteil wurde. Es gab einfache Bürgerinnen und Bürger wie Otto und Elise Hampel, die am 8. April 1943 in Plötzensee ermordet wurden, weil sie auf Postkarten zum Sturz Hitlers und zum Widerstand aufriefen. Hans Fallada hat dem Ehepaar in seinem Roman "Jeder stirbt für sich allein" ein literarisches Denkmal gesetzt. Es gab einzelne Mitstreiter in öffentlichen Institutionen wie den Gefängnispfarrer Harald Poelchau, der den zum Tode Verurteilten - unter anderem hier in Plötzensee - seelsorgerisch beistand, der aber darüber hinaus auch Nahrungsmittel und Briefe schmuggelte und mit seiner Frau Dorothee Hilfen für Verfolgte organisierte. Er begleitete rund 1.000 Häftlinge in den Tod und scheute trotzdem nicht davor zurück, unzählige Male sein Leben zu riskieren.

Zum deutschen Widerstand gehörten aber auch zahlreiche "stille Helden".
So nennen wir die namentlich oft gar nicht bekannten Menschen, die vor allem Juden in aller Heimlichkeit helfend zur Seite standen. "Sie haben alles riskiert, um ein Bett oder ihr Essen mit mir zu teilen" - mit diesen Worten erzählt die heute über 90jährige KZ-Überlebende Margot Friedländer, die ich gut kenne, immer wieder von ihren Berliner Helfern, wenn sie als Zeitzeugin Schulen besucht, um der jungen Generation mit ihren Erfahrungen den Wert von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit zu vermitteln.

Die Kraft und Lebendigkeit solcher Erinnerungen wach zu halten, bleibt unsere immerwährende Ver-antwortung - auch wenn es irgendwann keine Zeitzeuginnen und Zeitzeugen mehr gibt, die ihre Geschichte erzählen können. Deshalb erhalten Bund und Länder gemeinsam die authentischen Gedenkorte als Zeitzeugnisse für künftige Generationen. Gemeinsam fördern wir etwa die Stiftung Gedenkstätte Deutscher Widerstand, zu der die Gedenkstätte Plötzensee und die Gedenkstätte im Bendlerblock mit der vor einem Jahr eröffneten neuen Dauerausstellung gehören. Mein Haus finanziert darüber hinaus auch die Gedenkstätte "Stille Helden", die an die selbstlosen Helferinnen und Helfer verfolgter Menschen im Alltag erinnert.

Das Attentat des 20. Juli 1944 mag gescheitert sein, meine Damen und Herren, die Überzeugungen der Widerstandskämpfer sind es nicht. Sie leben fort in unserer Demokratie, die die Würde des Menschen als unantastbar achtet und auf den Werten gründet, für die die Frauen und Männer des deutschen Widerstands ihr Leben gegeben haben. Sie leben fort in der eindringlichen Mahnung, sich niemals zurück zu ziehen auf die ebenso bequeme wie verantwortungslose Haltung, im scheinbar ohnmächtigen Ausgeliefertsein an Sachzwänge keine Wahl zu haben. Sie leben fort in der unausweichlichen Frage, ob auch wir, wenn es darauf ankäme, die Zivilcourage und die charakterliche Stärke hätten, uns gegen die Sicherheit einer geheizten Wohnung zu entscheiden. Sie leben fort in unserer Überzeugung, dass auch eine Demokratie kritisches Mitdenken ihrer Bürgerinnen und Bürger benötigt. All das gehört zum Vermächtnis des 20. Juli 1944, an den wir heute gemeinsam erinnern.