Grußwort von Klaus Wowereit, Regierender Bürgermeister von Berlin

Typ: Rede , Datum: 20.07.2011

  • Ort

    Berlin, Gedenkstätte Plötzensee

  • Rednerin oder Redner

    sonstige

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,
sehr geehrter Herr Smend,
liebe Familienangehörige der Widerstandskämpfer,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

wir sind zusammen gekommen, um an das Unrecht des Nationalsozialismus und an all jene
zu erinnern, die den Mut hatten, sich dem Unrecht entgegenzustellen:

dem Völkermord an den europäischen Juden,
dem verbrecherischen Angriffskrieg,
dem Terror im Innern gegen politisch Andersdenkende.

Plötzensee ist einer der Orte, die wir nie vergessen dürfen. Ein Ort, an dem zwischen 1933 und 1945 fast 3.000 Menschen ihr Leben verloren. Als Opfer einer Justiz, die nicht mehr Teil einer rechtsstaatlichen Ordnung war, sondern Instrument von Willkür und Terror.

Wenn wir heute in guter Tradition wieder in Plötzensee zusammengekommen sind, dann gilt unser Gedenken in besonderer Weise den mutigen Frauen und Männern, die ihren Widerstand gegen das NS-Unrecht mit dem Leben bezahlt haben.

Frauen und Männern, für die es eine höhere Instanz als den sogenannten „Führer“ gab: ihr Gewissen.

Frauen und Männern, die etwas taten, das für Demokraten selbstverständlich ist:

Sie haben sich zusammen getan, um über eine bessere Zukunft nachzudenken, über einen Staat, der die Menschenwürde achtet, über einen Frieden in Europa, der von Dauer ist.

Der Widerstand gegen Hitler war äußerst heterogen und er fand auch schon deutlich vor dem 20. Juli 1944 statt.

Er reichte von Christen in der Bekennenden Kirche und engagierten Gewerkschaftern über Sozialdemokraten und Kommunisten bis hin zu Liberalen und Konservativen.

Von den Studierenden der „Weißen Rose“ über die Deserteure in der Wehrmacht bis hin zu hohen Offizieren und den Frauen und Männern des 20. Juli 1944.

Wir gedenken heute des Widerstands in seiner ganzen Breite. Und doch ist und bleibt der 20. Juli einer der großen Tage der jüngeren deutschen Geschichte.

Ja, es war der Tag eines gescheiterten Attentats auf Hitler. Aber es war auch der Tag, an dem die Welt sah: Es gibt auch ein anderes Deutschland.

Wenn wir heute an den Widerstand erinnern, denken wir jedoch nicht allein an die mutigen Frauen und Männer des Deutschen Widerstandes.

Fritz Stern hat vor einem Jahr in seiner Rede daran erinnert:

In ganz Europa gab es Menschen, die unter brutalsten Umständen ihr Leben riskierten, um Anstand, Gerechtigkeit und menschliche Würde zu ehren.

Menschen, denen der Traum eines friedlichen Europas der Vernunft vorschwebte. Gerade in einer Zeit, in der manche beim Thema Europa nur an den Euro und an die Schulden denken, sollten wir daran erinnern:

Europa war und ist weit mehr.

Europa ist die Vision, die vielen Frauen und Männern des Widerstands Kraft gab.

Eine Vision, die stärker war als der Terror der Nazis und eine Idee, die den Aufbau eines demokratischen und friedlichen Europas nach dem Krieg beflügelt hat.

„Ihr Werk ist nicht vergeblich gewesen.“ Dieser Satz von Ernst Reuter bleibt gültig. Und wir alle haben es in der Hand, das Vermächtnis der Frauen und Männer des Widerstands zu bewahren.

Indem wir menschenverachtendes Denken und Handeln nicht zulassen.

Indem wir Hass und Vorurteilen entgegentreten.

Indem wir Gesicht zeigen gegen Ewiggestrige und indem wir für eine weltoffene und tolerante Gesellschaft eintreten, die Unterschiede respektiert und Vielfalt als Bereicherung empfindet.

Ruth Galinski hat einmal gesagt: Gefährlicher als die geistlosen Gewalttäter sind jene, die schweigend zusehen.

Zu viele Menschen haben zu lange schweigend zugesehen. Nur so konnte es zum Niedergang der Republik und zur Barbarei der Jahre 1933 bis 1945 kommen.

Wir verneigen uns vor den mutigen Frauen und Männern des Widerstands, die statt schweigend zuzusehen gehandelt haben – die ihr Leben geopfert haben, um ein Zeichen der Menschlichkeit zu setzen.

Ihr Werk ist nicht vergeblich gewesen.