Begrüßung durch Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister der Verteidigung

Typ: Rede , Datum: 20.07.2011

  • Ort

    Berlin, Gedenkstätte Plötzensee

  • Rednerin oder Redner

    sonstige

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,
und damit möchte ich alle stellvertretend begrüßt haben,

ich danke Ihnen, dass Sie heute nach Plötzensee gekommen sind und begrüße Sie herzlich.

Wir gedenken der Opfer des 20. Juli 1944.

Es waren viele, Soldaten, Katholiken, Protestanten, Gewerkschafter, Unternehmer, Menschen aus allen Schichten des Volkes - wir haben es heute gehört -. Aber es waren zu wenige, zu wenige angesichts der Unterdrückung, der Diktatur und des Holocaust.

Sie setzten ihr Leben ein. Und viele von ihnen haben es verloren. Sie waren mutig. Und sie folgten ihrem Gewissen. Dadurch sind sie für uns zu Vorbildern geworden, gerade auch für die Bundeswehr.

Plötzensee ist ein Ort des deutschen Gedenkens. Und uns Nachlebenden ist Plötzensee ei-ne mahnende Verpflichtung.

Aber Plötzensee ist auch ein Henkersort. Es waren – Haushofer zufolge – die besten Köpfe, die hier gehenkt wurden. Hier endeten Martyrien.

Ist Plötzensee deshalb ein Ort des Scheiterns? Und warum stehen wir dann hier? War alles umsonst? Ja: das Attentat ist gescheitert. Sind die Attentäter deshalb auch gescheitert? Was ist der Maßstab für Erfolg oder Scheitern von Opfern für eine gute Sache?

Wir beurteilen Dinge manchmal schnell. Falsch angelegt und zu spät sei das Attentat gewesen, – haben im Nachhinein rückschauende Beobachter kritisch bemerkt, warm und trocken saßen sie in ihren Studierstuben. Wie hätten wir gehandelt, wenn wir an der Stelle der Verschwörer gestanden hätten? Hätten wir überhaupt gehandelt?

Oder hätten wir gesagt, der Krieg ist ohnehin verloren. Warum soll ich für eine wenig aus-sichtsreiche Sache mein Leben riskieren? Sollen es doch andere tun. Oder: brauchen wir nicht die totale Niederlage, um uns vom Nationalsozialismus mit Hilfe der Alliierten voll lösen zu können?

Gottlob, die Männer und Frauen vom 20. Juli hatten andere Maßstäbe. Gewiss, auch sie haben es sich nicht leicht gemacht. Die Erhebung des 20. Juli erfolgte erst 1944, nicht 1939 oder 1942. Und es war Krieg, und es ging nicht um einen Aufstand gegen eine Besatzungs-macht.

Können wir überhaupt ermessen, welcher innere Zwiespalt, welches Ringen der Entscheidung der Tat voran ging? Darf man überhaupt töten, auch wenn es ein Tyrann ist? Dem viele den Eid des Gehorsams geschworen hatten.

Doch am Ende waren die ganzen Diskussionen weggewischt. Am Ende stand die Tat. Und es war eine befreiende Tat, eine Tat für die Freiheit. Generalmajor Henning von Tresckow, einer der entschiedensten Mitstreiter im Widerstand, hielt im Juli 1944 fest: „Das Attentat muss erfolgen. Denn es kommt nicht mehr auf den praktischen Zweck an, sondern darauf, dass die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte den entscheidenden Wurf gewagt hat.“ Wir zitieren diesen Satz häufig, und das mit Recht. Es ist ein großes Wort, von sich selbst zu sagen: man tut etwas „vor der Welt und vor der Geschichte“.

Genau jene menschliche Größe ist es, die sie heraushebt. Und die sie eingeschrieben hat in die guten Seiten deutscher Geschichte. Ihr Opfer war deshalb nicht umsonst, nicht vor der Welt und vor der Geschichte.

Der Erfolg war der „Wurf“, die Tat selbst, nicht das Ergebnis.

Wenn wir heute hier stehen, als Bürger einer lebendigen Demokratie, in der das ganze Volk in Freiheit lebt und die Würde des Menschen den höchsten verfassungsmäßigen Schutz genießt, so verdanken wir dies auch den Frauen und Männern des deutschen Widerstands.

Wie sonst hätte nach 1945 ein Neuanfang gelingen sollen? Auch das Zeugnis des deutschen Widerstands hat den Weg Deutschlands in die internationale Staatengemeinschaft möglich gemacht!

Das ist der Lohn vermeintlicher Vergeblichkeit im Ergebnis.

Die Frauen und Männer des 20. Juli waren zu schwach, um das Hitlerregime zu Fall zu bringen. Doch sie waren unglaublich stark. Tresckow brachte es so zum Ausdruck: „Wenn einst Gott Abraham verheißen hat, er werde Sodom nicht verderben, wenn auch nur zehn Gerechte darin seien, so hoffe ich, dass Gott Deutschland um unseretwillen nicht vernichten wird. Niemand von uns kann über seinen Tod Klage führen. Wer in unseren Kreis getreten ist, hat damit das Nessushemd angezogen.“

Was für eine Stärke. Was für ein Anspruch.

Es waren nicht viele, es waren nur wenige. Aber es waren mehr als zehn Gerechte.

Und auch in unserer Gegenwart gibt es sie, in der ganzen Welt. Menschen, die tyrannischen Machthabern die Stirn bieten, die nicht nach ihrem eigenen Nutzen oder Leben fragen, sondern wem sie wie helfen können, die ihr eigenes Leben einsetzen.

Das Wort Opfer hören wir heutzutage nicht gerne. Es macht uns auch ein schlechtes Gewissen. Wo sind wir aufopfernd? Für wen würden wir uns eigentlich aufopfern?

Die Antwort der Männer und Frauen vom 20. Juli war auch hier eindeutig: Für ein Deutschland, mit Recht und Freiheit, für die Wiederherstellung des Anstandes.

Albrecht Haushofer, auch er wurde noch in den allerletzten Kriegstagen von den Nazis ermordet, hat in den Moabiter Sonetten ein bleibendes literarisches Denkmal errichtet, als er schrieb: „Nicht einer, der des eignen Vorteils dachte, / nicht einer, der gefühlten Pflichten bar, / in Glanz und Macht, in tödlicher Gefahr, / nicht um des Volkes Leben sorgend wachte.“

Hier in Plötzensee, dem Henkersort, dem Todesort, erinnern wir dankbar an die Tat des 20. Juli, an den Aufstand des Gewissens einiger weniger, an ihr erfolgreiches Scheitern, das uns den wahren Erfolg beschert hat. Dem bleiben wir verpflichtet.