Grußwort von Klaus Wowereit, Regierender Bürgermeister von Berlin

Typ: Rede , Datum: 20.07.2010

  • Ort

    Berlin, Ehrenhof des Bendlerblocks

  • Rednerin oder Redner

    sonstige

Herr Bundesratspräsident,
Frau Vizepräsidentin des Bundestages,
Herr Bundesminister,
Herr Professor Stern,
Exzellenzen,
liebe Angehörige der Widerstandskämpfer,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

es ist eine wichtige Tradition, dass wir uns am Jahrestag des 20. Juli 1944 zu dieser Gedenkstunde versammeln. Wir gedenken der mutigen Frauen und Männer, die ihr Leben eingesetzt haben, um gegen die Willkürherrschaft der Nationalsozialisten und für einen Rechtsstaat zu kämpfen.

Begründet wurde diese Tradition des Gedenkens 1952 hier in Berlin und an dieser Stelle: im Ehrenhof des Bendlerblocks, acht Jahre nach dem Attentatsversuch vom 20. Juli 1944, acht Jahre nachdem Ludwig Beck, Friedrich Olbricht, Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim und Werner von Haeften und 150 weitere Widerstandskämpfer aus allen Teilen des Volkes ermordet worden waren.

Der Senat von Berlin errichtete am historischen Ort des Umsturzversuches vom 20. Juli 1944 das Denkmal für die Opfer des 20. Juli 1944. Damit ehren wir neben der Gruppe der Verschwörer um Stauffenberg ausdrücklich alle Widerstandskämpfer gegen den Naziterror. Und es war der Regierende Bürgermeister Ernst Reuter, der am 20. Juli 1952 bei der Grundsteinlegung für das Denkmal sagte: „Ihr Werk ist nicht vergeblich gewesen.“

Dieser Satz von Ernst Reuter steht seit 58 Jahren als Motto über unserem Gedenken: „Ihr Werk ist nicht vergeblich gewesen.“ Der Anschlag ist zwar gescheitert. Und wir alle trauern noch heute darum, dass es den Männern und Frauen des Widerstandes nicht gelungen ist, die Zerstörungsmaschinerie der Nazis zu stoppen. Wie viel Leid hätte der Umsturz vermieden!

Aber die Frauen und Männer des Widerstands haben durch ihr Handeln ethische Maßstäbe gesetzt und sind so zu Vorbildern geworden. Sie haben ihr Leben geopfert, um anderen ein Überleben in Würde zu ermöglichen. In diesem Sinne ist ihr Werk nicht vergeblich gewesen.

Für Berlin hat die Erinnerung an den Widerstand eine besondere Bedeutung. Berlin war als Reichshauptstadt die Schaltzentrale des Terrors, des Völkermords an den Juden und des verbrecherischen Angriffskrieges, mit dem Deutschland die Welt überzog.

Aber Berlin war auch die Hauptstadt des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus. Eines Widerstandes, der von höchst unterschiedlichen Menschen und Gruppen getragen wurde.

Claus Schenk Graf von Stauffenberg, der das Attentat am 20. Juli 1944 in der Wolfsschanze ausführte, stand mit seinen Mitstreitern im Mittelpunkt der militärischen Konspiration. Er war katholisch geprägt. Schon früh hatte er sich gegen den Antisemitismus der Nazis gewandt. Zum aktiven Widerstand - zum Staatsstreich gar - entschloss er sich, als ihm das Ausmaß der Verheerungen bewusst wurde, die Deutschland mit dem Krieg in weiten Teilen Europas anrichtete und die sich nun gegen das eigene Land richteten.

Doch der militärische Widerstand war nur ein Teil. Stauffenberg pflegte wichtige Verbindungen zum zivilen Widerstand. Seine Attentatspläne koordinierte er mit Carl Friedrich Goerdeler, dem ehemaligen Leipziger Oberbürgermeister, aber auch mit Sozialdemokraten wie Julius Leber, Mitgliedern des Kreisauer Kreises wie Adam von Trott zu Solz und Vertretern der Gewerkschaftsbewegung wie Jakob Kaiser und Wilhelm Leuschner.

Widerstand leisteten Christen und Gewerkschafter, Sozialdemokraten und Kommunisten, einfache Soldaten und Offiziere, aber auch viele „Stille Helden“. Also Menschen, die keine Machthebel in der Hand hatten. Menschen, die sich im Alltag dem Verlangen des totalitären NS-Unrechtsregimes auf Gehorsam entzogen. Menschen, die anderen geholfen haben, indem sie sie bei sich versteckt und so dem Zugriff der Gestapo entzogen haben.

Adolf Arndt hat einmal formuliert: „Wird Staatsmacht ohne Maß so missbraucht, dass sie totalitär nach dem Menschen greift“, dann ist „jede Gebärde der Weigerung und jedes Zeichen der Menschlichkeit Widerstand“.

Wenn wir uns heute gegenseitig versichern, die Erinnerung an den Widerstand auch in Zukunft zu pflegen, dann denken viele von uns sicherlich an Orte wie diesen, die Gedenkstätte Deutscher Widerstand, oder an die Gedenkstätte Plötzensee. Hinzugekommen sind in den letzten Jahren zwei wichtige weitere Orte des Erinnerns: die Gedenkstätte „Stille Helden“ und die Blindenwerkstatt Otto Weidt. Und schließlich erinnern einige der vielen „Stolpersteine“ in Berlin an Menschen, die Widerstand geleistet haben und die deshalb von den Nazis verfolgt und ermordet wurden.

Diese unterschiedlichen Orte der Erinnerung lehren uns: Jeder Akt der Weigerung und jedes Zeichen der Menschlichkeit verdient Achtung und Anerkennung.

Und die vielen unterschiedlichen Beispiele des Widerstands zeigen: Auch unter den Bedingungen der NS-Diktatur gab es Handlungsspielräume und Entscheidungsmöglichkeiten. „Man konnte doch nichts machen“: Das hörte man in den Jahrzehnten nach dem Krieg häufig, wenn die Jüngeren ihre Eltern und Großeltern nach der Nazizeit fragten. Diejenigen, die dennoch etwas getan haben, entlarven diesen so häufig gesagten Satz als Ausrede. Man konnte etwas machen. Man musste nicht wegschauen, wenn anderen Unrecht geschah. Und man konnte Verfolgte vor tödlicher Bedrohung bewahren. Das persönliche Risiko war hoch – doch man konnte auf das eigene Gewissen hören und entsprechend handeln.

Lange Zeit waren es Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sowie aktive Teilnehmerinnen und Teilnehmer es Widerstandes selbst, die alles dafür taten, die Erinnerung an den Widerstand weiterzugeben – an die nächste und an die übernächste Generation.

Aber es werden immer weniger. Und daher ist es an uns Nachgeborenen, neue Formen des Erinnerns und der Präsentation der jüngeren Geschichte zu finden. Unsere Gedenkstätten arbeiten mit hohem Engagement daran und sie verdienen unsere volle Unterstützung bei dieser für die politische Kultur so wichtigen Vermittlungsarbeit.

Der 20. Juli wird immer ein Tag des Gedenkens an die Aktiven des Widerstands sein – und auch an das schwere Schicksal ihrer Hinterbliebenen. Und dieser Tag wird uns immer an unsere persönliche Verantwortung für das Gemeinwesen erinnern.

Die Aktiven im Widerstand haben trotz der damit verbundenen Lebensgefahr auf die Stimme ihres Gewissens gehört und sich dem Unrecht im nationalsozialistischen Deutschland entgegengestellt. Wir leben heute in einer Demokratie. Unsere Handlungs- und Entscheidungsspielräume sind viel größer. Gerade deshalb ruft uns die Erinnerung an diese Männer und Frauen dazu auf, Gesicht zu zeigen, wenn anderen Unrecht geschieht und unser Zusammenleben friedlich und gerecht zu gestalten.

Wir verneigen uns vor den mutigen Männern und Frauen des Widerstands, die ihr Leben geopfert haben, um ein Zeichen der Menschlichkeit zu setzen.

Ihr Werk ist nicht vergeblich gewesen.