Begrüßung durch Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminister der Verteidigung

Typ: Rede , Datum: 20.07.2010

  • Ort

    Berlin, Ehrenhof des Bendlerblocks

  • Rednerin oder Redner

    sonstige

Sehr geehrter Herr Präsident des Bundesrates,
Frau Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages,
ich begrüße die Richterin am Bundesverfassungsgericht, Frau Professor Lübbe-Wolff,
Herr Regierender Bürgermeister,
sehr verehrter Herr Professor Stern,
ich freue mich, meinen Amtsvorgänger, Dr. Franz-Josef Jung, zu sehen,
meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete,
sehr verehrte, liebe Frau von Trott zu Solz - stellvertretend für alle Angehörigen, die ich besonders
herzlich begrüßen will,
hochwürdige Geistlichkeit,
sehr verehrte, liebe Frau Knobloch,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

Staatsstreich und Attentat vom 20. Juli 1944 sind gescheitert, doch Scheitern ist nicht das letzte, bittere Wort der manchmal unerbittlichen Geschichte geblieben. Alljährlich kommen wir - im Anspruch nie routiniert - zusammen, uns am 20. Juli an die Tat von Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg und an jenen Aufstand des Gewissens zu erinnern, den einst eine Handvoll Männer und Frauen in schier aussichtsloser Situation gewagt haben. Sie haben damals das Äußerste gewagt und das äußerst Denkbare aufs Spiel gesetzt. Und nicht wenige unter ihnen hatten diesen Einsatz mit ihrem Leben zu bezahlen. Noch in der Nacht, als hier in der Bendlerstraße der Staatsstreich gegen das Hitler-Regime zusammenbrach, wurden General Olbricht, Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Oberst Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim und Oberleutnant Werner von Haeften hier in diesem Hof erschossen. Generaloberst Ludwig Beck wurde zum Selbstmord gezwungen.

Der 20. Juli 1944 ist heute für viele von uns schier unendlich weit entfernt. Aber er ist auch nah, ganz unmittelbar, intensiv und höchst emotional nah. Hier an diesem Ort, wo in der Nacht vom 20. auf den 21. Juli 1944 Stauffenberg, Mertz von Quirnheim, Haeften, Olbricht und Beck ihr Leben gelassen haben. Hier, am Berliner Dienstsitz des Bundesministers der Verteidigung. Und jeder Tag im Dienst ist bereits deswegen auch für mich von dieser Kraft jener Männer mit gezeichnet. Wir verneigen uns vor ihnen, denn sie haben ihr Leben gegeben und sie haben mit ihrer befreienden Tat Zeugnis abgelegt. Sie haben damit der Welt von damals und sie haben uns heute gezeigt, dass es auch in den dunkelsten Zeiten der Diktatur ein anderes, ein besseres Deutschland gegeben hat. Von General Olbricht sind als einige der letzten Worte jene Sätze überliefert, die viele auch als Rechtfertigung vor der Geschichte verstehen: "Ich weiß mit Sicherheit, dass wir alle in einer schon verzweifelten Situation das Letzte gewagt haben, um Deutschland vor dem völligen Untergang zu bewahren. Ich bin überzeugt, dass unsere Nachwelt das einst erkennen und begreifen wird." Am 20. Juli 1952, genau acht Jahre nach Olbrichts Tod, begann die Errichtung dieses Denkmals durch den Künstler Richard Scheibe. Den Grundstein legte auf Anregung anderer Angehöriger Eva Olbricht, seine Witwe. Ernst Reuter, der Regierende Bürgermeister, hat damals eine bemerkenswerte, eine große Rede gehalten.

Es waren Menschen mit all ihren Stärken und Schwächen, mit ihren Ängsten und Hoffnungen. Menschen, aber auch eben in der Selbstbetrachtung keine Übermenschen, auch nicht im Moralischen. Diejenigen, die heute gerne aus der Sekurität mancher Redaktions- und Gelehrtenstuben ihre Urteile mit der Feder fällen, dürfen, ja sollten sich daran bisweilen erinnern. Und sie sollten sich die Frage in ihrer vergleichsweise zumeist erschütterungsfreien Welt vorlegen, die auch zu den ganz wesentlichen, zu den vielleicht erschütternden des 20. Juli gehört, gewissermaßen zum Erbe der Verschwörer gegen Hitler in die Gegenwart gehört: Wie hätten wir gehandelt? Hätten wir geschwiegen?

"Das feine Schweigen" heißt eine der jüngeren Publikationen des heutigen Festredners Fritz Stern. Ein Buch, das jene erwähnte Wort- und Tatenstille während der NS-Zeit behandelt und ihre Hintergründe aufs Trefflichste darzustellen vermag. Das Buch lässt auch erkennen, dass der Umgang mit dem Hitler-Regime zwar die folgenreichste Ausuferung des feinen Schweigens ist, das Grundproblem aber bis heute nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat.

Meine Damen und Herren, die Männer und Frauen des 20. Juli sind fraglos Vorbilder für heute. Sie haben nicht nur dem Schweigen Worte und Taten entgegen gestellt, sie haben eigene Ängste überwunden: Todesängste, Angst auch um ihre Nächsten, die so geliebten, und sie haben ein Zeichen gesetzt: Zeugnis ablegen und Handeln unter Vollmacht des Gewissens. Die Frauen und Männer des 20. Juli wollten immer beides. Auch dies zählt zu ihrem Erbe an die Gegenwart und es bleibt ein zeitloses, sich nicht erschöpfendes Gebot, ein Auftrag für uns hier und heute.

Der 20. Juli 1944 war nicht allein, aber auch eine symbolische Tat. Der Publizist Joachim Fest und lange davor der Historiker Hans Rothfels haben dies auf bleibende Weise festgehalten, als sie vom "Lohn der Vergeblichkeit" gesprochen haben. Ein Trost in aller Bitternis. Und das viel zitierte Wort Henning von Tresckows, das Attentat müsse erfolgen "coûte que coûte" spricht dies in aller Klarheit aus.

Fritz Stern, unser heutiger Redner, hat das Wort von der "zweiten Chance" gewählt. Deutschland hatte nach 1945, nach der politischen und moralischen Katastrophe des Zweiten Weltkriegs, in der Tat eine zweite Chance gewährt bekommen. Und wir können nicht oft genug voll Dankbarkeit innehalten, uns darauf zu besinnen, was dieses Geschenk der Geschichte, was diese zweite Chance für uns bedeutet und uns ermöglicht hat - zumal meiner Generation, wie klug und großartig diese zweite Chance zuweilen auch genutzt werden mag.

Dass wir diese zweite Chance gewährt bekommen haben, verdanken wir vor allem jenen, denen wir heute gedenken. Als Dankbarkeit in unserer heute von Betriebsamkeit und Selbstverwirklichung geprägten Welt eine nicht mehr allzu alltägliche Kategorie.

Und auch wenn es vordergründig befremdlich klingen mag, für jedes Staatswesen aber bleibt Dankbarkeit unerlässlich. Als Nation bilden wir eine Gemeinschaft in Verantwortung mit denjenigen, die vor uns waren und denjenigen, die nach uns kommen. Nicht nur am heutigen 20. Juli heißt es, sich bewusst zu machen, dass Frieden, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit keine mehr oder weniger gepflegten Selbstverständlichkeiten sind. Dass sie, wenn es darauf ankommt, verteidigt werden wollen und für sie aktiv Partei ergriffen werden muss. Die Männer und Frauen des 20. Juli haben dies vor nunmehr fast 70 Jahren getan. Ich bin auf besondere Weise dankbar, dass heute Angehörige jener Großen vom 20. Juli unter uns sind, die damals an der Seite derjenigen gestanden haben, die das Äußerste wagten.

"Es ist kein Zweifel", schrieb Ulrich von Hassel im Oktober 1940, "dass, wenn dieses System siegt, Deutschland und Europa fürchterlichen Zeiten entgegen gehen. Bringt es aber Deutschland in eine Niederlage, so sind die Folgen erst recht nicht auszudenken." Ein weiser, vorausschauender Satz, den die Geschichte brutal und unbarmherzig bestätigen sollte.

Das Vertrauen in uns selbst war 1945 zweifelsohne aufs Tiefste zerrüttet. Und wenn es gelungen ist, seitdem dieses Vertrauen in bemerkenswertem Maße wieder herzustellen, so bleibt auch dies die Leistung Einzelner. Die Leistung der Überlebenden des 20. Juli 1944, die den jungen Staat, die Bundesrepublik Deutschland, mit aufgebaut haben, und die Leistung derjenigen, die wie Sie, lieber verehrter Fritz Stern, einst wegen der Nationalsozialisten ihre Heimat verlassen mussten, später in den Vereinigten Staaten und Großbritannien und an anderen Plätzen der freien Welt eine neue Heimat gefunden haben und Sie trotzdem Deutschland nicht vergessen haben und Ihrer Herzensbindung so unverwechselbar Ausdruck verleihen. Die Rückkehr in die Gemeinschaft des Westens haben Sie durch Ihre Treue, ihre Freundschaft und ihr Vertrauen in das demokratische Deutschland ganz wesentlich ermöglicht.

Es ist deshalb eine ganz besondere Freude, Sie heute hier bei uns zu haben, an jenem Ort, an dem am Abend des 20. Juli 1944 der Staatsstreich gegen Hitler zusammenbrach. Es ist eine Freude, die erneut von einer großen Dankbarkeit erfüllt ist, dass Sie jetzt am 20. Juli 2010 zu uns sprechen werden. Danke sehr.