Grußwort des Bürgermeisters von Berlin und Senator für Wirtschaft, Technologie und Frauen, Harald Wolf

Typ: Rede , Datum: 20.07.2009

  • Ort

    Berlin, Gedenkstätte Plötzensee

  • Rednerin oder Redner

    sonstige

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

Wir gedenken heute der tapferen Männer und Frauen, die Widerstand gegen den Nationalsozialismus geleistet haben. Hier in Plötzensee war in der Zeit des Zweiten Weltkriegs ein Ort des Todes.

Insgesamt 2.891 Menschen wurden hier zwischen 1933 und 1945 ermordet – die meisten von ihnen, weil sie Widerstand gegen Hitler geleistet hatten. Rund die Hälfte waren Widerstandskämpfer aus den von Deutschland besetzten Ländern, vor allem aus der Tschechoslowakei, aus Polen und aus Frankreich. 

Aber auch die Frauen und Männer des deutschen Widerstandes kamen hier zu Tode. Widerstand - das waren Menschen und Gruppen, die sich in den Jahren 1933 bis 1945 gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft gewehrt haben. Das waren Christen, Juden und Atheisten. Das waren Gewerkschafter und Angehörige bürgerlicher Gruppen. Das waren Sozialdemokraten, Kommunisten und Anarchisten. Das waren Mitglieder der Europäischen Union um Robert Havemann und Georg Groscurth, der Roten Kapelle um Arvid Harnack und Harro Schulze-Boysen, des Kreisauer Kreises mit Helmuth James Graf von Moltke und Peter Graf von Wartenburg und der mit ihm verbundenen Verschwörergruppe des 20. Juli um Claus Schenk Graf von Stauffenberg. 

Allein 89 Frauen und Männer des 20. Juli wurden hier bestialisch enthauptet oder gehängt. Nichts sollte mehr an sie erinnern. Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Werner von Haeften, Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim und Friedrich Olbricht wurden noch am Abend des

20. Juli 1944 im Bendlerblock ermordet und dann eilig verscharrt. Ihre Leichen wurden auf Geheiß Himmlers wieder ausgegraben, verbrannt und über den Berliner Rieselfeldern verstreut. Himmler hatte ursprünglich sogar geplant, die Familien der Verschwörer umzubringen. Ihre Namen sollten für immer ausgelöscht werden.

Die Verschwörung gegen Hitler scheiterte. Und doch sind die tapferen Männer und Frauen des Widerstandes nicht vergessen. Auch nach 65 Jahren erinnern wir uns mit Respekt und Dankbarkeit.

Und gerade dieses Jahr, da Berlin mit einer Vielzahl von Veranstaltungen den 20. Jahrestag von Friedlicher Revolution und Mauerfall begeht, bietet Anlass, die herausragende Rolle des deutschen Widerstands gegen Hitler zu würdigen.

Im Herbst 1989 gingen Millionen DDR-Bürger auf die Straße, um gegen Diktatur und Unfreiheit zu demonstrieren. Sie taten dies unter großen persönlichen Risiken, eingedenk der Tatsache, dass der letzte große Volksaufstand am 17. Juni 1953 brutal niedergeschlagen wurde. Doch der Mut war größer als die Angst. Die Demonstranten in der DDR und anderen Mittel- und Osteuropäischen Ländern waren nicht allein, sondern Teil einer großen europäischen Demokratiebewegung. Sie hatten Erfolg, auch weil die Diktaturen im Laufe der Jahrzehnte ihrer Herrschaft erodiert waren und Moskau seinen Machtbereich nicht mehr mit Panzern sicherte.

Wie anders dagegen war die Lage der Verschwörer vom 20. Juli. Jeder für sich war allein mit seinem Gewissen. Sie mussten sich innerer Klärungsprozesse unterziehen. Schwer lastete auf ihnen die absolute Loyalitätspflicht eines deutschen Offiziers gegenüber dem Eid, den er auf seinen obersten Befehlshaber – in diesem Fall Hitler – geleistet hatte. Diesen zu töten war eine unerhörte, für einen deutschen Offizier beispiellose Tat. Auch war den Verschwörern die Gefahr bewusst, als Verräter in die Geschichte einzugehen – und so Anlass zu geben für eine weitere Dolchstoßlegende.

Und sie ahnten, dass der Staatsstreich mit hoher Wahrscheinlichkeit scheitern würde. Ihr Widerstand wurde nicht mitgetragen von der Bevölkerung – es war in gewisser Weise „Widerstand ohne Volk“. Und vielleicht wäre es sogar Widerstand gegen relevante Teile des Volkes gewesen, denn unter dem Eindruck des Luftkriegs war die Bevölkerung zusammengerückt, woraus Hitler versuchte, geschickt Nutzen zu ziehen. Dennoch schrieb Stauffenberg: „Es ist Zeit, dass jetzt etwas getan wird. Derjenige allerdings, der etwas zu tun wagt, muss sich bewusst sein, dass er wohl als Verräter in die deutsche Geschichte eingehen wird. Unterlässt er jedoch die Tat, dann wäre er ein Verräter vor seinem Gewissen. Ich könnte den Frauen und Kindern der Gefallenen nicht in die Augen sehen, wenn ich nicht alles täte, diese sinnlosen Menschenopfer zu verhindern. "Den Opfern in die Augen sehen zu können, einen „Akt der inneren Reinigung“ zu vollziehen, wie es der hier in Plötzensee hingerichtete Hellmuth Stieff nannte: Das war der wichtigste Zweck des Attentats auf Hitler.

Henning von Tresckow schrieb im Sommer 1944 an Stauffenberg: „Das Attentat muss erfolgen, coûte que coûte. Sollte es nicht gelingen, so muss trotzdem in Berlin gehandelt werden. Denn es kommt nicht mehr auf den praktischen Zweck an, sondern darauf, dass die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte unter Einsatz des Lebens den entscheidenden Wurf gewagt hat. Alles andere ist daneben gleichgültig.“ Und darum ging es: Nicht nur um Erfolg oder Misserfolg. Sondern darum, ein Zeichen zu setzen und – wie Joachim Fest schrieb – „durch eine große verneinende Geste Widerspruch einzulegen gegen Hitler und gegen alles, was er und seine Herrschaft bedeuteten.“

Ihr Einsatz war nicht umsonst. Die Frauen und Männer des 20. Juli mahnen uns, uns selbst zu prüfen. Wir müssen auf unser Gewissen hören und in schwierigen Situationen genug Courage aufbringen. Wir sind aufgefordert, uns zu den Grundsätzen von Demokratie und pluraler Gesellschaftsordnung zu bekennen und danach zu handeln. Und das heißt: jenen entschlossen entgegentreten, die noch heute Rechtsextremismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit propagieren. Und wie die furchtbaren Aufzüge von NPD und Neonazistischen Gruppen am 1. Mai dieses Jahres und Angriffe auf Gewerkschafter zeigen, reicht es nicht aus, allein auf die Mittel des Rechtsstaats zu vertrauen, diese Aufgabe an den Staat zu delegieren, sondern wir brauchen das breite Engagement und den breiten Widerstand aus der Zivilgesellschaft heraus. Und dieser Widerstand gründet im Kern auf die Überzeugung jedes einzelnen, dass Rechtsextremismus und Neonazismus immer auf Ausgrenzung, Unterdrückung und Unfreiheit zielen.

Dass wir alle in diesem Sinne in Verantwortung stehen, meine Damen und Herren, darin liegt das Vermächtnis des 20. Juli. Wir verneigen uns vor den aufrechten Männern und Frauen des Widerstandes.