Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

Typ: Rede , Datum: 17.06.2010

  • Ort

    Berlin, Friedhof Seestraße

  • Rednerin oder Redner

    sonstige

(Es gilt das gesprochene Wort.)

Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister von Berlin Klaus Wowereit,
sehr geehrter Herr Präsident des Abgeordnetenhauses von Berlin,
sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter des diplomatischen Corps,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
meine Damen und Herren,

Der Aufstand der Bürgerinnen und Bürger in Ostdeutschland gegen das DDR-Regime am 17. Juni 1953 ist und bleibt ein zentrales Datum der deutschen und europäischen Freiheitsgeschichte. In diesen Juni-Tagen wurde überdeutlich, dass die kommunistischen Machthaber keinen Rückhalt beim Volk hatten. Ohne die russischen Panzer wäre ihre Herrschaft schon damals beendet worden.

Das System hatte keine Mehrheit und würde auch keine demokratische Mehrheit bekommen.

Schon allein aus diesem Grund ist es wichtig, dass wir die Erinnerung an den 17. Juni aufrechterhalten. Zu Recht war dieser Tag als „Tag der deutschen Einheit“ lange der nationale Feiertag in der Bundesrepublik Deutschland. Vor genau 20 Jahren, im Jahr der Wiedervereinigung, war er es zum letzten Mal.

Zweifellos war diese Entscheidung richtig. Im Angesicht der geglückten friedlichen Revolution und der wieder gewonnen deutschen Einheit gab es mit dem 3. Oktober ein neues Datum, das unser Land und seine Identität prägt.

Das darf uns aber zu keinem Zeitpunkt die Schmerzen der Teilung und die jahrzehntelange Unfreiheit im östlichen Teil unseres Landes vergessen lassen. Deswegen ist es so wichtig, dass wir den 17. Juni weiterhin als Gedenktag begehen, durch die Gedenkveranstaltung im Deutschen Bundestag und durch die Gedenkveranstaltung hier.

Dabei ist der Verlauf dieses Tages schon erstaunlich. Aus einem Protest gehen die angeordneten Normenerhöhungen wurde ein Volksaufstand von mehr als einer Million Menschen gegen die DDR-Regierung. Und das nicht nur in Berlin oder Leipzig. In über 700 Städten im gesamten Land verlangten die Menschen soziale Verbesserungen und immer mehr auch politische Veränderungen und freie Wahlen.

Schon damals verdeutlichte der Volksaufstand die Brüchigkeit des Systems und die Ohnmacht auf allen Seiten. So war die DDR-Führung nicht in der Lage, der Situation Herr zu werden. Sie griff zur Gewalt sowjetischer Panzer und zur Kontrolle durch die Besatzungsmacht um die Proteste des 17. Juni brutal einzudämmen.

Noch ohnmächtiger waren natürlich die Demonstranten selber. Sie konnten noch so viele sein. Was hatten sie Panzern und Gewehren schon entgegenzusetzen? Ihr Ruf nach politischer Beteiligung und ihr Ruf nach Freiheit, so mussten sie erfahren, wurde von sowjetischem Militär, Volkspolizei und Staatssicherheit mit aller Macht bekämpft und auch blutig niedergerungen. Die Menschen in der DDR wussten spätestens von diesem Tag an: Sie waren ein mit allen Mitteln unterdrücktes Volk.

Und ohnmächtig war auch der Westen, insbesondere die Bundesrepublik, die zusehen musste, was vor sich ging, ohne auch nur die geringste Möglichkeit zum Eingreifen zu haben. Wie sehr man in der Bundesrepublik von der Entwicklung überrascht wurde, verdeutlicht Franz-Josef Strauß in seinen Erinnerungen:

"Wir hatten zwar Informationen, dass die Unzufriedenheit unter den Menschen drüben von Tag zu Tag stieg, dennoch wurden wir von dem plötzlichen Ausbruch der Unruhen und dem demonstrativen Freiheitswillen überrascht."

Und an anderer Stelle unterstreicht er die Ohnmacht der Bundesregierung angesichts dieser Situation:

„In Bonn gab es keine Möglichkeit zu ernsthaftem Handeln. Es gab Erklärungen, Sympathiekundgebungen, Appelle an die Siegermächte – was sollte die Bundesregierung anderes tun? Damals ist einem die ganze deutsche Ohnmacht wieder bewusst geworden."

Ohnmacht und Hilflosigkeit: das war die bittere Lektion für die Deutschen in Ost und West an diesem 17. Juni. Und doch blieb eine Glut, die die Diktatur niemals löschen konnte und die im Herbst 1989 zur Flamme wurde.

Daran denken wir, wenn wir heute der Opfer vom 17. Juni gedenken.

Daran denken wir, wenn wir an die mehr als 10.000 Inhaftierten erinnern, die zum Teil zu langjährigen Haftstrafen, in mindestens 20 Fällen sogar zum Tode verurteilt wurden.

Nach dem 17. Juni folgte dann die Abstimmung mit den Füßen: die Massenflucht der Menschen aus der DDR nach Westen. Über 300.000

Menschen waren es, die allein 1953 der DDR den Rücken kehrten. Bis zum Bau der Mauer blieb die Zahl durchgehend hoch.

Meine Damen und Herren, das Gedenken an den 17. Juni 1953 gehört für uns Deutsche zur Erinnerung an den Unrechtsstaat DDR und an den Ruf nach Freiheit und Einheit genau so wie der 9. November 1989 oder der 3. Oktober 1990.

Dieses Gedenken zu bewahren ist besonders wichtig, wenn ewig Gestrige die DDR-Diktatur mit Nostalgie verklären und verharmlosen.

Es ist ein Segen, dass wir in Erinnerung an die friedliche Revolution keine Toten zu beklagen haben. Das darf uns aber nicht vergessen lassen, dass es im Kampf um Freiheit der Menschen in Ostdeutschland auch viele Opfer gab. Der 17. Juni ist der richtige Tag, um daran zu erinnern.

Wir haben in Zusammenhang mit dem 17. Juni immer vom Tag der deutschen Einheit gesprochen. Aber wir haben damit doch eigentlich Einheit und Freiheit gemeint. Das Wertvolle für uns heute ist nicht die Einheit allein, sondern die Einheit in Freiheit. Für mich gehört das untrennbar zusammen. Das ist das Fundament, auf dem unser Land seit der Wiedervereinigung steht.

Der Ruf nach Freiheit, der 1953 die Diktatur in ihren Grundfesten erschütterte, blieb nicht auf Deutschland beschränkt. In Ungarn 1956, in Tschechien 1968, in Polen mit der Solidarnosc in den 80er Jahren – überall war dieser Ruf zu hören. Völlig verstummt ist er nie, bis er schließlich 1989 so übermächtig wurde, dass die Mauern der Diktatur zusammenbrachen.

So bleibt der 17. Juni 1953, auch wenn er in seinen wesentlichen Zielen gescheitert war, ein wichtiger Tag auf dem Weg zur Einheit in Freiheit in unserem Land.

Unser Respekt gilt all jenen, die damals mit Mut und Hoffnung gegen das Regime protestiert haben. Deutschland blickt heute mit Stolz auf alle zurück, die sich nicht mit der Unfreiheit abfinden wollten. Und wir trauern mit den Angehörigen um die Opfer der Diktatur.

Sie alle verdienen unseren Respekt, unseren Dank und vor allem – unsere Erinnerung.